Kontakte pflegen und einander Sorge tragen: Wie wertvoll nachbarschaftliche Netzwerke speziell im Alter und erst recht in einer Krise wie der jetzigen sind, erzählen Genossenschafter und Genossenschafterinnen im Saatlen-Quartier.
Im Seniorenkafi sind sich Dorli Schluep und Trudi Zgraggen schon lange nicht mehr gegenüber gesessen. Die Corona-Krise verunmöglicht seit einem Jahr die geselligen Treffen in einem einfachen Raum mit Festtischen und -Bänken, zu denen jeweils ein gutes Dutzend Frauen und Männer der Saatlen-Siedlung zusammen finden. Dorli Schluep hat diese Treffen in ihrer Siedlung vor fünf Jahren ins Leben gerufen, so wie später auch das Seniorenkafi etwas weiter entfernt in der Schwamendinger Schuppis-Siedlung. Beide finden normalerweise regelmässig statt. «Drüben in Schwamendingen jassen, häkeln und diskutieren wir», erzählt die 77-jährige Initiantin, hier im Saatlen würden sie sich vor allem austauschen und einander auch mit Rat und Tat unterstützen, «öfters etwa bei technischen Problemen mit einem Gerät.» Zu Beginn sprach Dorli Schluep, Genossenschafter und Genossenschafterinnen ab 50 Jahren ein, mitzumachen, «es zeigte sich aber, dass diejenigen, die noch im Arbeitsprozess sind, kaum je teilnehmen können.» Ü65 habe sich besser bewährt, sagt die lebhafte ehemalige Haute-Couture-Schneiderin, Mutter und Grossmutter. Zu den Regelmässigen gehören drei Ehepaare, «die andern sind alle alleinstehend. Für sie sind diese Nachmittage doppelt wichtig.»
Dorli Schluep lebt seit bald siebzig Jahren in Saatlen, ihr Vater bezog mit der Familie eine 3-Zimmer-Wohnung in einem der drei Häuser der damals frisch gegründeten Wohnbaugenossenschaft. Sie erinnert sich an gesellige Treffen im Garten des elterlichen Hauses, initiiert von ihrem Vater und einem italienischen Maurer, der ebenfalls in der Siedlung lebte: «Er besuchte uns mit einer Flasche Chianti, kochte Pasta mit Tomatensauce, weitere Genossenschafter stellten bei uns Böckli und Bretter auf zum Sitzen. Dieser Zusammenhalt! Mit so wenig Mitteln!»
Heute sorgt sie selber mit viel Engagement für Zusammenhalt und kann dafür nicht genug gewürdigt werden, findet Trudi Zgraggen: «Viele von uns Älteren in der Siedlung sind sich dank der regelmässigen Begegnungen nahe und unterstützen sich auch.» Das erlebten Dorli und ihr Mann Ernst Schluep selber, als er letztes Jahr an Corona erkrankte und auch sie in Quarantäne bleiben musste: «Jeden Tag rief mindestens eine aus der Siedlung an um zu fragen, wie es uns geht und was wir brauchen.»
Die Nähe entstehe nicht einfach so, sind sich die beiden Frauen einig. Trudi Zgraggen: «Das braucht Vertrauen. Dieses entsteht durch Begegnungen, indem man miteinander spricht, sich kennenlernt.» Und von nichts komme nunmal nichts, ist Dorli Schlueps Ehemann Ernst, der sich inzwischen gut von Corona erholt hat, überzeugt: «Man muss selber etwas machen! Beziehungen und Freundschaften entstehen doch nicht von alleine. Sie brauchen auch Pflege. Aber wenn man dann alt ist, kann man auch ernten.» Er war seinerseits stets engagierter Genossenschafter, während dreissig Jahren wirkte er in der Koloniekommission mit, organisierte Ausflüge und Veranstaltungen für alle Altersgruppen. Vor einer Weile hatte er beim Einkaufen eine schöne Begegnung mit einer jungen Mutter, die selber als Kind schon in der Siedlung lebte. Er habe doch immer diese tollen Wanderungen organisiert, sagte sie zum älteren Herrn, und: sie habe das stets so genossen.
Auch im direkten Kontakt sorgen sich Schlueps um Menschen in der Siedlung – für einen bald 90-jährigen Alleinstehenden etwa veranstalten sie jährlich ein Geburtstagsfest. Trudi Zgraggen wiederum pflegt eine kulinarische Nachbarschaftsbeziehung: «Neben uns wohnt eine Frau von den Philippinen. Sie weiss, dass ich asiatisches Essen so gerne mag und wenn sie kocht, bringt sie mir oft eine wenig zum Probieren. Seit der Coronzeit sogar öfters, weil sie nicht arbeiten kann. Und so bringe auch ich ihr jeweils einen kleinen Zopf, den ich zusätzlich zu dem unseren backe. So sehen wir uns nun regelmässig.»
Nachbarschaftliche Beziehungen sind von unschätzbarem Wert – für das Wohlbefinden, gegen die Einsamkeit und die soziale Isolation. Genossenschaften waren schon von jeher darauf ausgerichtet, die Gemeinschaft, das Miteinander zu fördern. Initiativen, die von den Bewohnerinnen und Bewohnern kommen zu unterstützten, ist denn auch ein grosses Anliegen der BGZ. Denn um füreinander da sein zu können und zu wollen, muss man sich ein wenig kennen. Und sich kennen geht nicht ohne Begegnung und Austausch. «Tragende Netze werden spätestens für Menschen, die ins hohe Alter kommen und weiterhin zuhause wohnen möchten, von grosser Bedeutung», weiss René Fuhrimann, der bei der BGZ den Fachbereich Zusammenleben leitet. Aber auch in Zeiten wie diesen sind sorgende nachbarschaftliche Gemeinschaften Gold wert, wie Dorli und Ernst Schluep erfahren haben: Trotz Isolation hatten sie stets etwas Feines zu essen – und viel zu hören, wenigstens übers Telefon.