• «Die Siedlung ist mein Lebensraum»

    Lebenstürme für Kleinlebewesen, Blumenwiesen und ein Grünspecht: Dank der Initiative einiger Genossenschafterinnen ist die Siedlung Am Katzenbach heute ein Biodiversitäts-Vorzeigeprojekt. Nach anfänglichem Zähneknirschen ziehen auch die Gärtner voll mit.

    «Wie sollen die Kinder da bloss Verstecken spielen?» Das fragte sich Gaby Abt, als sie 2011 mit ihrer Familie in die Siedlung Am Katzenbach zog. Zwischen den neuen Wohnhäusern waren entweder private Gärten oder Rasen sowie verstreut einige Bäume. «Offen und aufgeräumt», wirkte das für die einen. «Karg und steril» für die anderen. Gaby Abt gehörte zur zweiten Gruppe.

    Als Ökologin war ihr klar, dass ein solcher Aussenraum nicht nur den Menschen wenig Rückzugsmöglichkeiten bietet, sondern auch für Tiere, insbesondere Insekten, ein viel zu tiefes Nahrungsangebot bereithält. 40 Prozent der Insektenarten in der Schweiz gehören zu den gefährdeten Arten. Ihr Verschwinden stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Ökosysteme dar – und gefährdet nicht nur die Lebensgrundlage von Tieren, sondern auch von uns Menschen. Die Lösung heisst Biodiversität.

    Grünes Licht für Biodiversität

    Zusammen mit anderen Mitgliedern der Arbeitsgruppe Nachbarschaft machte sich Gaby Abt ein paar Jahre nach ihrem Einzug an die Arbeit: Nach Sitzungen, Siedlungsrundgängen und ersten Anfragen an den BGZ-Vorstand formulierte die Gruppe eine Eingabe an die Genossenschaft. An der GV im Juni 2018 galt es ernst: «Als die ordentlichen Traktanden durch waren und wir zu ‹Varia› kamen, standen wir auf und erklärten unseren Wunsch, die Biodiversität in der Siedlung Am Katzenbach in einem Mitwirkungsprozess ernsthaft und nachhaltig zu fördern», erinnert sich Gaby Abt. Der Mut hat sich gelohnt: Noch im selben Monat gab die Mitwirkungskommission der BGZ grünes Licht und die neu gegründete Arbeitsgruppe Biodiversität nahm ihre Arbeit auf.

    Doch was ist mit Biodiversität, diesem Begriff, der Mitte der 1980er-Jahre zum politischen Schlagwort wurde, überhaupt gemeint? Das Bundesamt für Umwelt schreibt es so: «Biodiversität ist die Vielfalt des Lebens auf den Ebenen der Ökosysteme (Lebensräume), der Arten (Tiere, Pflanzen, Pilze, Mikroorganismen) und der genetischen Vielfalt, also der Unterschiedlichkeit der Individuen einer Art.» Wer mit der Biodiversitäts-Brille auf Felder und Gärten, Autobahnböschungen oder Bahndämme schaut, sieht statt Grünflächen Lebensräume, statt Unkraut Blumenwiesen und statt Ungeziefer Bienenweiden. Herumliegende Stein- und Asthaufen sind kein Zeichen für faule Gärtnerinnen und Gärtner, sondern bewusst geschaffener Wohnraum und Versteck für Insekten, Igel und Eidechsen. André Loosli, Teamleiter Gärtner bei der BGZ, gibt zu, dass er anfangs nicht sehr viel Sympathie für das Konzept hatte. «Wir Gärtnerinnen und Gärtner haben es gerne gepützelt: Meine Generation hat in der Ausbildung gelernt, die Rasen sauber zu trimmen und unkrautfrei zu halten, und Bäume und Sträucher regelmässig zu stutzen.» Die Idee, weniger zu mähen, Blumen- und Wildkräutersaatgut in die Rasenflächen einzubringen, das geschnittene Gras zur Versamung erstmals einfach liegenzulassen und weitgehend auf Pestizide zu verzichten, behagte zuerst weder André Loosli noch seinen Mitarbeitenden. Nach ersten Erfahrungen im naturnahen Gärtnern und mehreren Weiterbildungen stehen er und sein Team aber mittlerweile voll hinter dem Biodiversitätsgedanken. Zusammen mit René Fuhrimann, Teamleiter Fachbereich Zusammenleben, und Personen aus der AG Nachbarschaft ist André Loosli auch Mitglied der AG Biodiversität.

    Grosse Akzeptanz in der Siedlung

    René Fuhrimann erklärt, wie ein Grundsatzentscheid der BGZ dem Biodiversitätsprojekt weiteren Schub verlieh: «Im Juli 2021 verankerte der Vorstand die nachhaltige Entwicklung und damit auch die Biodiversität in der BGZ-Strategie. Dieser Entscheid schaffte Klarheit zwischen denjenigen, die Wert auf ordentliche Rasen und wenig Insekten legen und denjenigen, die Biodiversität fördern wollen.» Die Siedlung Am Katzenbach sei ein Pilotprojekt für die BGZ. «Der Fachbereich Zusammenleben hat das Projekt von Anfang an begleitet mit Erklärungen, transparenter Kommunikation, Info-Veranstaltungen und Mitmachaktionen, um möglichst viele Bewohnerinnen und Bewohner auf unsere Biodiversitäts-Reise mitzunehmen, Sorgen anzuhören, Lösungen zu finden und niemanden vor den Kopf zu stossen.» Das funktioniere gut, Kritik an der neuen Bewirtschaftung des Aussenraums sei weitgehend ausgeblieben. «Stattdessen konnten wir viele Genossenschafterinnen und Genossenschafter überzeugen, selbst Hand anzulegen, um ihre Siedlung grüner und biodiverser zu gestalten.»

    Die erste Gelegenheit dazu bot sich im Herbst 2020: Nach einer gemeinsamen Begehung mit Fachleuten von Grün Stadt Zürich reichten diese ein Konzept und eine dicht beschriebene Excel-Liste mit über 150 Pflanzenarten ein, um das ökologische Potential der Siedlung zu erhöhen. «Zusammen mit Bewohnenden haben wir dann als erstes den Rasen vertikutiert, also Moos und Filz entfernt, um den Rasen zu belüften. Danach haben wir an verschiedenen Orten eine Blumenwiesenmischung ausgesät», erklärt André Loosli. Heute blüht es Am Katzenbach fast das ganze Jahr: Wiesensalbei und Glockenblumen, Hornklee und Krokusse, Kamille und Buschwindröschen. Ende 2021 wurde in einer weiteren Mitmach-Aktion der «Naschgarten» angelegt. Aus einem unbelebten Platz an der Strasse sollte mit essbaren Pflanzen und einer Pergola ein Aufenthaltsort für Klein und Gross geschaffen werden. «Mich hat die Biodiverstitätsidee von Anfang an begeistert», erzählt Yvonne Brun, Bewohnerin und weiteres Mitglieder der AG Biodiversität. Beim Anlegen des Naschgartens sei sie dann zum ersten Mal aktiv geworden: «Wir haben Obstbäume, zehn Beerensorten und Wildstauden gepflanzt. Heute ist der Platz ein kleines Paradies für alle.»

    Verdichtetes Wohnen für Kleinlebewesen

    Nach diesen Massnahmen mit Fokus auf die Pflanzenwelt folgte eine zweite Eingabe bei der Mitwirkungskommission zur Förderung der Insektenvielfalt. Auf eine Wildblumenaktion zur Bereicherung der Terrassen und Balkonbepflanzungen Ende 2022 folgte im Herbst 2023 die Errichtung von drei Lebenstürmen für Kleinlebewesen. «Das Engagement der Siedlung war super: Einen Tag lang haben wir von der AG Biodiversität mit interessierten Nachbarinnen und Nachbarn drei Türme aus Holz gebaut und mit Stroh, Altholz, Tannenzapfen und Laub befüllt. Auf einer Grundfläche von einem Quadratmeter bieten diese Holzkonstruktionen auf mehreren Etagen verdichtetes Wohnen für Nützlinge wie Flor- und Schwebfliegen, Marienkäfer, Wildbienen, Vögel, Igel und Fledermäuse», so André Loosli. Direkt am Siedlungseingang gelegen, sind die Türme auch ein Symbol: Hier leben Menschen, denen die biologische Vielfalt der Erde am Herzen liegt.

    Die Massnahmen haben sich gelohnt, so Gaby Abt: «Dieser Fläche zwischen Katzenbach, Lebenstürmen und Naschgarten ist mein Lebensraum – und nicht nur meiner: Heute wachsen hier mindestens ein Drittel mehr Pflanzenarten als vor fünf Jahren, die verschiedene Bestäuberinsekten anlocken. Auch Igel, Füchse und seit Kurzem sogar ein Grünspecht fühlen sich wohl.» Oder in den Worten von Yvonne Brun: «Die Natur ist unsere Lebensgrundlage, wir sind bloss zu Gast auf diesem Planeten. Ich sorge mich um die Zukunft unserer Kinder und unserer Welt. Seit wir uns in der Siedlung gemeinsam für mehr Biodiversität engagieren, fühle ich mich hier viel mehr zuhause.»

     

    vor der Umwandlung zum Naschgarten

    Mitmachtag 2020

    Mitmachtag Bepflanzung Naschgarten November 2021

    Mitwirkung der Kinder beim Bau der Lebenstürme

    Lebenstürme nach der Fertigstellung

    Der Naschgarten und seine Geniesser/-innen